
07 Feb. Horizont Steyr
Eine Verkettung glücklicher Umstände hat uns in Steyr gemeinsam mit den TP3 Architekten hinter die Mauern des ehemaligen Cölestinnerinnen Klosters, Gefängnis, Polizei-Anhaltezentrum und eines der ältesten Theater Österreichs geführt, dessen Geschichte kaum mannigfaltiger sein könnte. Mit der Stadtregierung begaben wir uns auf eine Expedition, um die neue Vision zu kreieren.
Zusammen mit dem multiprofessionellen Team vor Ort und den Architekten von TP3 haben wir eine Art architektonischer Familienaufstellung versucht. Für die Cölestinerinnen vom „Orden von der allerheiligsten Verkündigung“ war dies ein kontemplativer Ort, in dem die Nonnen nach der Augustinusregel lebten und durch ihre himmelblaue (cölestinus) Kutten kenntlich waren. Wenn man sie denn zu Gesicht bekam – der Ort war in sich geschlossen.
Kaiser Joseph II veranlasste die Öffnung und heute stehen wir wieder vor diesem historischen Auftrag, diese Mauern zu öffnen. Das Kloster wurde damals zur öffentlichen, unentgeltlichen „Normalschule für Mädchen“. Die Barrieren wurden damit allerdings noch nicht gänzlich abgebaut, es wurden neue aufgebaut: Das Ensemble schlüpfte in seine erste ambivalente Rolle. Es wird zum Gefangenenhaus und zum Theater. Gegensätzlicher verkettet können Nutzungen kaum sein: Ein introvertierter und extrovertierter Ort in einer Mauer, zwei Seiten einer Fassade, zwei Blickwinkel unter einem Himmel.
Exakt 150 Jahre nach dem Dekret von Joseph II zur Öffnung des Klosters findet das Welttheater der österreichischen Geschichte hier eine tragische Bühne. Und es ist abermals ein Josef, der ein Glied in der Geschichte des Ortes wird: Der 26-jährige Schutzbündler und sozialistische Arbeiterfunktionär Josef Ahrer wird am 17. Februar 1934 aufgrund erwiesen falscher Zeugenaussagen zum Tod verurteilt und im Gefängnishof Berggasse gehängt. Ahrers letzter Wunsch, ein Schweinsschnitzel und zwei Flaschen Bier, wird noch erfüllt. Um 23.28 Uhr wird Josef Ahrer durch den Scharfrichter Wurm gehängt. Den Eintritt des Todes stellte Gerichtsarzt Anton Hain erst um 23.45 Uhr fest.
Aufbruch statt Ausbruch!
An diesem Ort der Unfreiheit, der Enge, des Gefangenseins kann ein Ort der
- Freiheit der Kunst und Wissenschaft,
- Freiheit der Forschung und der Gedanken,
- Freiheit der Bildung und des Unternehmertums und
- Freiheit von Mangel und Furcht
entstehen. Der geschichtsträchtige Ort beginnt das nächste Kapitel seiner Geschichte.
Wandelgang – eine Verkettung glücklicher Umstände
Steyr ist seit jeher Symbol für Handel, Handwerk, Industrie und Reformation. Mit geschickten architektonischen Interventionen wird die Produktionskette innerhalb der Klostermauern verknüpft. Durch Interpunktionen fließt wieder die kontemplative, kollaborative und konstruktive Kraft. Es gibt Orte des Nachdenkens, des Wachsens, des Probierens und des Präsentierens. Die Produktionskette wird vollständig. Eine Verkettung glücklicher Umstände.
Durch Öffnungen und Durchörterung geht der verwunschene Ort wieder auf Tuchfühlung mit der Steyrer Bevölkerung, öffnen die Pforten und zeigen uns den unendlichen himmelblauen Horizont.
Wir betrachten den Gebäudekomplex in seiner Gesamtheit, da er wie ein Organismus unserer Meinung nach auch nur im Gesamten nachhaltig leben kann. Es wird ein Ökosystem initiiert, das sich durch eine Balance von introvertierten und extrovertierten sowie dienenden Zonen auszeichnet. Konkret bedeutet das ein Mix aus Gastronomie, öffentlich zugänglichen Plätzen und Ansiedlungs- sowie Unterbringungsmöglichkeiten. So werden Betriebe und Ausbildungsstätten gezielt angesiedelt, die durch die Besonderheiten der räumlichen Strukturen eine einzigartige Location vorfinden. Und den schönsten Vorlesungssaal Österreichs, wenn nicht sogar Europas – das alte Theater.
Das Dach des neu geschaffenen Campus wird von den inhaltlichen Säulen Bildung, Ausbildung, Kontemplation, Wirtschaft und Wissenschaft, Handwerk und Gastronomie getragen. Ein/e Community Manager:in kümmert sich um Kultur der Bespielung des Ortes und des Zusammenwirkens. Als zentrale Drehscheibe für Service und Information entsteht so eine offene Campus-Mentalität, die sich am langfristigen Denken des Klosterlebens orientiert, aber die Neuzeit feiert. Dazu ist ein neuer Haupteingang im Turm samt glasüberdachtem Innenhof geplant. Die insgesamt drei Baukörper bis hin zum Alten Theater werden (wieder) miteinander verbunden.
Was hier in den neu begrünten und teilweise überdachten Höfen als Idee keimt, kann das Theater als Patent in Richtung Horizont verlassen.