
14 Apr. Über das Wesen der Innovation
Ist Technologie eine Selbstverfluchung, Innovation ein Dogma, Fortschritt eine Religion und die Zukunft Aberglaube?
Es ist zu spät ein Pessimist zu sein, lasst uns hier und heute ein Bündnis eingehen, eine Allianz für eine permanent gute Gegenwart, einen Pakt für die beste aller möglichen Welten. Hebt mit mir das Glas und prosten wir Fortuna zu: auf das Kommende, Gemeinsame und Gute.
Am 26. März lud die DELTA AG zur Eröffnung des Grand Salons und einem der unvergesslichsten Abende der DELTA-Geschichte ein. Mit über 100 Akteur:innen und hochkarätigen Gästen genossen wir den feinen Abend mit intellektuellem Charme, Humor und Austausch mit Tiefgang. Eröffnet habe ich die Veranstaltung mit dem Meisterwerk METROPOLIS: in einem Moment der Vorahnung schrieb Thea von Harbou METROPOLIS. Ein in jeder Hinsicht beunruhigendes Werk. Ihr Mann, Fritz Lang, kreierte daraus einen monumentalen Science-Fiction-Stummfilm im Stile des Expressionismus. Schauplatz ist die futuristische Großstadt, METROPOLIS- die Stadt der Städte. Eine technokratische Riesenstadt. Ein vernetzter Unort. Ein betonierter Moloch. Kein Roman bzw. Film ist zeitgemäßer wie Metropolis.
In einer Zeit geprägt von Unsicherheit, Klimakatastrophen, gesellschaftlichen Differenzen, Finanzkrisen und technologischem Umbruch, breitet sich Angst bei den Menschen aus. Die Künstliche Intelligenz, die Schritt für Schritt in alle Lebensbereiche vordringt, mindert die Sorgen der Menschen nicht. Daher stellt sich für viele die Frage „wird sie uns beherrschen?“ Wir blicken dem technologischen Fortschritt der Innovationen optimistisch in die Zukunft und eröffnen den Grand Salon – einen Ort des guten Lebens, der Inspiration und des Aufbruchs. Wir formen die Innovation, den Fortschritt und die Zukunft. Der Zukunft begegnen wir nicht mit Skepsis, sondern mit Haltung.
Durch den Abend moderierten ich – das Phantom von Weimar und der Graf von Hagia, Franҫoise Strapace alias Bernd Waß – der Philosoph und Uhrmacher. Waß fragt Müller war das Programm. Wir philosophierten gemeinsam mit den Gästen über das Wesen der Innovation. Der Jurist, Blogger und Influencer Martin Schiefer erzählte zum Thema Innovation. Der futuristische Stadtentwickler und DELTA CEO AG Wolfgang Kradischnig hatte sein Spezialgebiet Fortschritt als Thema und mit der Zukunftsforscherin und Soziologin Christiane Varga philosophierten wir gemeinsam zum Thema Zukunft. Die Band Die Feine Mischung sorgte für die musikalische Umrahmung. Gitarrist der Band und Journalist der OÖN Reini Gruber stellte die etwas kritischen Fragen an die Gäste. Der Grand Salon soll als Schmiede dienen, wo wir unterschiedliche Formate zusammenbringen und ein Experiment starten, welches zum Weiterdenken, Weiterentwickeln, zum Austausch und Vernetzen sowie Philosophieren und Diskutieren anregt. Nicht nur die Expert:innen wurden zu den Zentralbegriffen des Abends befragt, sondern auch der Philosoph und Graf von Hagia. Wie werden die Begriffe Innovation, Fortschritt und Zukunft aus philosophischer Sicht betrachtet.

(c) Mac Greene Photography
Was kann man aus philosophischer Sicht über den Begriff der Innovation sagen?
Der Graf von Hagia: In der Tat, wertes Phantom von Weimar. In der Philosophie versucht man die Welt denkend zu verstehen. Denken aber – das hat Leibniz lange vor Humboldt betont – beruht, anders als Wahrnehmung, auf Sprache. Warum? Denken ist im Unterschied zur Unmittelbarkeit der Wahrnehmung abstrakt. Wir nehmen etwas wahr – wir denken über etwas nach. Im Denken sind wir also immer schon einen Schritt weit von der Welt des Augenblicks entfernt. Und die Brücke, mit der wir diese Kluft unseres Weltbezugs zu überwinden vermögen, ist die Sprache. Die Ausdrücke unserer Sprache – ihre Begriffe – sind Stellvertreter der Dinge (Zustände und Vorgänge eingeschlossen) in der Welt. Und so können wir uns durch Sprache auf die Welt beziehen, selbst dann, wenn wir sie nicht vor uns haben, wir können die Dinge zueinander in Beziehung setzen, sie voneinander trennen, sie ganz neu anordnen, von einem zum anderen übergehen, etwas hinzufügen, entfernen u. v. m. – sie im wahrsten Sinne des Wortes begreifen.
Das heißt: Zwischen unserem Nachdenken über die Welt und der Welt selbst, liegt das Reich der Begriffe und dieses Reich müssen wir beherrschen, wenn wir die Welt verstehen wollen. Wir müssen es aber auch beherrschen, wenn wir in unseren Unternehmen wirkmächtig sein wollen. Wenn ich beispielsweise keine Ahnung davon habe, was der Begriff der Innovation be-deutet, so führte die Rede davon im besten Fall ins Leere, im schlechtesten Fall in die Irre.
Was bedeutet der Begriff der Innovation? Worüber reden wir, wenn wir über Innovation reden?
Der Graf von Hagia: Dem deutschen Duden nach zeigen sich zwei relevante Bedeutungsweisen: Innovation – im Übrigen vom lateinischen innovare (erneuern) abgleitet – bedeutet demnach a) eine geplante und kontrollierte Veränderung in einem sozialen System durch Anwendung neuer Ideen und Techniken.
b) die Realisierung einer neuartigen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders die Einführung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Verfahrens.
Man muss also grob zwischen sozialer bzw. gesellschaftlicher Erneuerung einerseits und technisch-ökonomischer Erneuerung andererseits unterscheiden. Je nachdem, worüber wir reden, werden wir ganz verschiedene Ergebnisse bekommen und ganz verschiedene Herausforderungen zu bewältigen haben. Das bemerkenswerte ist aber die Tatsache, dass jede Innovation ihre eigenen Geltungsvoraussetzungen gleichsam selbst produzieren muss, und zwar indem sie durch einen sozialen Sinnstiftungsprozess Anerkennung findet. Innovation ist also mit dem kreativen Schöpfungsakt nicht abgeschlossen. Ohne Anerkennung durch die Adressaten der Innovation, ist sie nichts. Andererseits kann sie aber auch viel mehr sein, als die Schöpfer der Innovation selbst im Blick hatten. So wollte z. B. Thomas Alva Edison das Telefon ursprünglich lediglich für Opern-Übertragungen nutzen.
Man könnte vielleicht sagen, Innovation impliziert drei Dimensionen: Die InnovatorInnen (die kreativen SchöpferInnen, wenn man so will), die Adressaten der Innovation und den Prozess der Sinnstiftung. Und alle drei Dimensionen muss man im Blick haben.
Würden Sie mir zustimmen, werter Graf, wenn ich behaupte, dass man alle Innovation unter den Begriff des Fortschritts bringen kann?
Der Graf: Ich stimme Ihnen zu, wertes Phantom. Womit wir, sozusagen beim nächsten Begriff angekommen sind, den man im Zusammenhang mit Innovation bedenken muss: den Begriff des Fortschritts. Womit haben wir es also zu tun?
Der deutsche Sozialphilosoph Axel Honneth (Frankfurter Schule) würde sagen, Fortschritt ist eine Geschichte der Empörungen. Und zwar die Geschichte der Empörungen der Ausgeschlossenen.
Ich möchte aber heute eine andere Fassung des Fortschrittsbegriffs mit Ihnen diskutieren.
Der deutsche Philosoph Odo Marquard artikuliert in seinem Essay ›Zeit und Endlichkeit‹ einen Gedanken, den der moderne Mensch zwar nicht denken mag, der sich aber im Gefühl des Unbehagens fortwährend aufdrängt: Unsere Fortschrittswelt verdrängt die menschliche Langsamkeit und daher beständig einen Teil dessen, worauf wir als temporale Wesen festgelegt sind. Was übrig bleibt, ist allein das schnelle Leben. Innovationstempo und Veraltungsgeschwindigkeit nehmen zu, und zwar immer mehr. Die Modernisierungskräfte des Fortschritts neutralisieren die Traditionswelt als eine Welt uns vertrauter Umgebung. Nur so – traditionsneutral – kann die moderne Technik immer schneller artifizielle Funktionswirklichkeiten formen; nur so – traditionsneutral – kann die moderne Wirtschaft ihre Produkte immer schneller zu Waren des weltweiten Handels machen; nur so – durch traditionsneutrale Kommunikationssysteme – kann die moderne Informationstechnologie immer schneller immer mehr Information global kommunizierbar machen.
Man kann nicht leugnen, dass diese schnelle Welt Lebensvorteile bringt. Doch dass sie uns zunehmend auch erschöpft, weil sie uns zu Fremden macht, die sich kaum noch zu orientieren vermögen, kann man ebenso wenig leugnen. Dass der Mensch – dadurch, dass seine Zeit endlich ist, dass sie Frist ist – nicht nur schnell, sondern kompensatorisch auch langsam leben muss, herkunftsbezogen und in vertrauten Verhältnissen, das mag den Fortschrittsgläubigen nicht so recht einleuchten. Man könnte sagen: Je höher die Fortschrittsgeschwindigkeit, desto langsamer müssen wir leben.

(c) Mac Greene Photography
Würden Sie mir erneut zustimmen, werter Graf, wenn ich nun behaupte, dass man allen Fortschritt, und damit implizit alle Innovation, unter den Begriff der Zukunft bringen kann?
Der Graf: Ich stimme Ihnen erneut zu, wertes Phantom. Innovation und Fortschritt haben die gleiche Göttin. Womit wir bei der gemeinsamen Klammer von Innovation und Fortschritt angekommen sind: der Zukunft. Doch philosophisch gesehen stürzen damit beide – Innovation und Fortschritt – ins Nichts. Und zwar deshalb, weil es die Zukunft nicht gibt. Zumindest dann nicht, wenn man dem großen Augustinus Glauben schenkt: Für Augustinus ist die Zukunft ein Aspekt der Zeit, so wie auch die Vergangenheit ein Aspekt der Zeit ist.
Doch vom Standpunkt des unmittelbar erlebten Moments aus betrachtet – und einen anderen Standpunkt haben wir nicht – existiert die Zukunft stets noch nicht und die Vergangenheit stets nicht mehr – beide also nie. Was wirklich existiert, ist einzig Gegenwart.
Zugleich allerdings scheint es hanebüchen, Zukunft und Vergangenheit als Ingredienzien erlebter Wirklichkeit überhaupt zu leugnen, weshalb sie Augustinus an die Gegenwart anbindet: Er spricht – neben der Gegenwart des Gegenwärtigen – von der Gegenwart des Vergangenen und der Gegenwart des Zukünftigen. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Zeitauffassung ist Erinnerung und Vorstellung. Vergangenheit ist nämlich nichts anderes als erinnerte Gegenwart und Zukunft nichts anderes als vorgestellte Gegenwart.
Das ist der große Paukenschlag: Die Auffassung der Zukunft als bloßer Vorstellung – wir haben von vorgestellter Gegenwart gesprochen – entreißt ihr alles, womit sie sich so gerne schmückt. Der Schleier der Maya hebt sich: das Mystische, Dunkle, Schicksalhafte und Verborgene wird der Täuschung überführt. Denn was bleibt, ist insofern transparent, als klar ist, wer es in der Hand hat: wir – als Einzelne, als Gesellschaft, als Organisation, aber auch als Menschheit. Wenn nämlich Zukunft die Vorstellung von Gegenwart ist, dann ist sie nichts anderes als eine von uns selbst vorausgedachte Wirklichkeit. Denn Vorstellen und Denken fallen zusammen. Man muss nur den Versuch unternehmen, sich z. B. eine Kugel vorzustellen, ohne dabei an eine Kugel zu denken, um zu sehen, was gemeint ist.
In welcher Welt wir morgen leben werden, das hängt also davon ab, worüber wir heute nachdenken, oder anders gesagt: wie wir uns das Morgen im Heute vorstellen.
Werter Graf, nachdem wir nun festgestellt haben, dass Innovation, Fortschritt und Zukunft zusammenhängen. Was ist das Wesen der Innovation?
Der Graf: Ich denke das Wesen der Innovation, wertes Phantom, liegt im Menschen selbst. Der Mensch ist nicht nur ein zutiefst schöpferisches Wesen, sondern auch ein auf Gesellschaft hin angelegtes, tätiges Wesen. Und so sind wir ständig damit beschäftigt unser Tun zu innovieren, zu erneuern, zu verbessern.
Den famosen Abend ließen wir mit anregenden Gesprächen und inspirierenden Perspektiven zu den Themen Innovation, Fortschritt, Zukunft und nicht zu vergessen wie sie aus der Sicht der Philosophie betrachtet werden gemeinsam mit den Gästen und Besucher:innen ausklingen. Vielen Dank, dass ihr alle Zeug:innen eines epischen Abends wart!