Pixelhotel Waldesruh

Weltstadt heißt Waldstadt

Dieser Tage wird eine Bodenstrategie für Österreich beschlossen, die weiteres Versiegeln leider nicht aufhält. Dabei gibt es leerstehende Immobilien mit einer Grundfläche in der Größe der Stadt Wien. Flächenrecycling und Verdichtung heißen die zeitrichtigen Strategien. Recyceln und verdichten könnte man aber auch Ideen, die schon lange am Tisch liegen.

Das Museumsquartier hat sich zu einer Begrünungsoffensive durchgerungen, die es unter dem Titel „MQ goes green“ öffentlichkeitswirksam ausgeschrieben hat. Hitzeinsel abbauen mit möglichst kreativen Ansätzen – ein wichtiger Vorstoß für das international bekannte Quartier! Ideen, die aufatmen lassen und im Sinne einer Vorhaltigkeit nachhaltig wirken könnten. Denn: Weltstadt heißt heute Waldstadt. 

Ein Inoffizieller Nationalpark im Herzen Wiens

2011, also kurz bevor ich die Möglichkeit hatte in die Zukunft der Tabakfabrik Linz einzuwirken, wurde ich vom Bundesministerium eingeladen, mich als Geschäftsführer für das Museumsquartier zu bewerben. Das tat ich mit einem Konzept eines inoffiziellen Nationalparks inmitten von Wien. Für seine Gestaltung sollten heimische und internationale Künstler:innen sorgen. Eine Biosphäre inmitten der Stadt, in der die Themen Identität, Gesellschaft, Arbeit, Raum, Ökonomie, Ökologie, Religion, Zivilisation und Kultur verhandelt und mit ihnen gespielt werden sollte. Ich plante 25 Tonnen Heimaterde für den Innenhof des MQ, hunderte weitere sollten folgten – in Form von Hügeln und Trampelpfaden, üppig begrünt, angelegt zwischen Teichen und Bäumen.

Die Museen wurden in luftiger Höhe mit begehbaren Alu-Stegen verbunden, Netze wurden zwischen ihnen als leichte Hofdecke gespannt. An den Alu-Traversen wurden Lichter und Sprinkleranlagen montiert. Ebenso Windmaschinen und Lautsprecher. So das Konzept. Hängebrücken und Stege kamen ebenso dazu wie Hochstände, Baumhäuser, ein kleiner Zeltplatz, Lagerfeuerstätten und eine FKK-Zone.

Die anwachsende Installation im öffentlichen Raum des MQ stellte in meiner Vorstellung bald jedes Bühnenbild an Größe und Opulenz in den Schatten und etablierte sich schnell als Kulisse für Veranstaltungen aller Art. Instagramability inklusive, obwohl es das damals noch nicht gab.

Eine soziale Plastik im Schnittfeld von Politik und Kunst

Ich sah es als Kombination aus theatraler Installation und sozialer Intervention und gab Mensch und Natur inmitten der Metropole Wien Raum zur Entfaltung, begleitet von politischer und künstlerischer Art. Der Bogen spannte sich von „transkulturellen“ Begegnungen und Gesprächen über Diskussionen zu Themenkomplexen wie „Minderheitenrechte vs. Mehrheitsansprüche“, „Toleranz, Divergenz & Diskriminierung“, „Heimat & Identität“ bis hin zum gemeinsamen Gulaschkochen und zu durchtanzten Nächten.

Die Installation im Schnittfeld von Politik und Kunst umschrieb eine Neu-Positionierung und Funktion des Museumsquartiers als vielfältig bespielbares Areal, das dem Zustand der Welt und Optionen seiner Veränderung bildhaft Raum gibt.

Zugleich läutete die soziale Plastik einen Prozess ein. Er sollte in gemeinsamen Ausstellungs- und Veranstaltungskonzepten münden und auch den öffentlichen Raum des Museumsquartiers als Ort der Kunst, der Reflexion und des ästhetisch-politisch-sozialen Austauschs etablieren. Das Konzept sah vor, das Event- und Freizeitareal in künstlerisch und wissenschaftlich aufgeladene Labors zu verwandeln, die die Gesellschaft mit ihren Chancen und Herausforderungen konfrontiert. Ein Kaleidoskop aktueller Themen sollte so Eingang ins MQ finden und stetig in die einzelnen Institutionen einsickern, mit deren Inhalten korrespondierenden und so einen Kosmos der Zeitgenossenschaft kreieren.

Unterirdische Flüsse und gesprengt Berggipfel

Mein Wagnis wurde damals abgelehnt. Zum Glück – für Wien und mich. Dadurch glückte noch eine Produktion des Theater Hausruck und ich war frei für den kurzdarauffolgenden Ruf der Tabakfabrik. Bevor mich dieser ereilte, erhielt ich noch eine Anzeige wegen „Entwendung eines Berggipfels“. Grund war die freigebaggerte Fläche für das Stück mit dem passenden Namen „Neuland“ im Zuge des Ars Electronica Festivals 2011.

Heute werden Gipfel nicht mehr entwendet, sie sprengen sich selbst – als Folge des anthropogenen Klimawandels. Diese Utopie ist selbst mir damals noch nicht in den Sinn gekommen, aber eben erst in Tirol passiert. Gleichzeitig denken Forscher:innen laut darüber nach, Flüsse, die wir unter die Erde verbannt haben, wieder an die Oberfläche zu holen. Man denke in Wien an die Krottenbachstraße oder die Alserbachstraße, die Indizien dafür geben, wo jetzt kühlende Bäche fließen könnten.

Mühsam müssen wir nun solch zarte Pflänzchen, wie die „MQ goes green“ Initiative hegen und pflegen. Sie sollen viele Nachahmer:innen finden und das auf der ganzen Welt. Der öffentliche Raum soll ein Abbild an Ideen, Freiheit, Kunst und Natur sein.

Little Lesach

Ein Kunstplatz zeigt die Welt und will nicht mehr Vorhof sein [Auszug aus der Bewerbung]

Freilaufende Feldhasen tummelten sich in ihr und verwiesen spielerisch auf die packende Joseph Beuys Ausstellung im MUMOK. Polit-Sümpfe, die von gesellschaftlichen Dammbrüchen kündeten, befanden sich auf der rechten Seite. Links eine Schutzhütte für Obdachlose und in der Mitte ein Com.Posting.Haufen. In der arrangierten politischen Landschaft begegnete man Kornblumen, Nelken und Deutschen Eichen, deren Bedeutungen sich den BesucherInnen via Smartphone und QR-Code erschloss. Ein Hochstand diente als Speakers Corner, mitten im Wald der Kinder. Darin suchten junge Bio- und GeologInnen nach Überraschungen in Fauna und Flora oder nach Bodenschätzen.

Ein Waldlehrpfad führte zum Walddorf(!) Kindergarten und zum begehbaren Streichelzoo. Ein kollektiv bestellter Kräutergarten lag ebenfalls am Weg, der Historisches über Hexen, HeilerInnen und Hängenden Gärten vermittelte. Nicht einsehbar hingegen war die FKK-Zone. Gut abgesicherte Lagerfeuerstätten etablieren Grillkultur im MQ. Und jeden Donnerstag übte das MQ den Weltuntergang und inszenierte künstliche Naturkatastrophen, während an den Sommerwochenenden die Waldbühne um Theaterpublikum buhlte. LiteratInnen präsentierten Dichtung auf der Lichtung, der promovierte Biologe Michael Häupl, bis vor kurzem noch Bürgermeister Wiens, hielt einen wissenschaftlichen Fachvortrag.

Der Waldkronenweg lotste Erholung Suchende zum Pixelhotel „Waldesruh“ oder zu Zeltplätzen im Kunstwald. In der Lichtung der Erleuchtung standen Gläubige, Sektierer und Skeptiker, Agrarrebellen und Ökos aller Art Rede und Antwort. Märchenstunden (auch) für die Kinder: Elfen, Gnome und Waldschraten bestritten den literarischen Menüplan. Intermuseale Kooperationen beackerten das Thema Wald ebenso wie Theater, Medienkunst, Architektur und Design. Proseminare für Jägerlatein und andere Waldsprachen rundeten das Bildungsangebot ab.